Schreibwelle 2: Überarbeiten und Tiefertauchen in das Rohmaterial
“Wer nicht mit den Figuren fühlt, stellt nur Behauptungen auf.”
So hieß es in einem (übrigens wirklich interessanten 3-stündigen) Interview mit Benedict Wells (sinngemäß). Ich kenne das. Dialoge werden künstlich. Gefühle oberflächlich oder klischeehaft. Ich komme irgendwie nicht rein in den Text.
Es ist halt auch so:
Ich kann nur sehr schwer (wirklich schwer) loslassen. Mir gehen manche Situationen, Gespräche, Chatverläufe, undefinierbare Stimmungen, (un)nette Begegnungen tagelang oder des Nächtens durch den Kopf und kaue sie wieder, bis nur noch Gedankenbrei da ist.
Ich kann mich auch vielen Dingen nicht entziehen: Dem Job zum Beispiel. Oder Verabredungen. Meinem Sport. Den brauche ich dringend zum Ausgleich.
Es ist ein Zwiespalt zwischen dem Leben “da draußen” und meinem Innenleben, meinem Zurückziehen in meine fiktive und nicht weniger emotionsgeladene Welt
Immer plappert diese eine Stimme dazwischen: schreib endlich weiter! Seit Beginn des neuen Jahres will es einfach nicht so recht. Ich möchte ja. Gerade nach Tagen des Nicht-Schreibens wird sie echt unverschämt laut. Sie hat ja recht! Dann setze ich mich dran, mal hier eine Stunde, mal da eine halbe. Aber:
Das Abtauchen und Eintauchen, das Mitfühlen und Miterleben fehlt mir. Und das ist für mich notwendig, um nach meinen Maßstäben echte, tiefe, lebendige Figuren zu erschaffen. Ich bleibe mit meinem Kopf - und mit meinen Gefühlen - im Außen. (Siehe oben)
In meinem letzten Beitrag habe ich über das Entstehen der Rohfassung geschrieben. Seitdem arbeite ich daran, die Prämisse zu entkernen, um die zweite Fassung zu schreiben. Dazu war nochmal eine Runde Theorie notwendig, das Strukturieren und Plotten. Ich habe mir meine Figuren wiederholt im Einzelnen vorgenommen: ihre Ziele, inneren Konflikte, Überzeugungen geschärft. Sie haben alle ihre eigenen (Figuren)Prämisse. Das steht, das ist rund und passt auch alles zusammen. Ich habe sie befragt, es kamen keine Widerworte. Im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, sie freuen sich, dass ich ihnen noch mehr gegegeben habe, das sie zu entwicklungsbereiten, "round characters" macht. Und genau hier stehe ich jetzt. Ich möchte wieder Abtauchen zu ihnen mit meinen neuen Erkenntnissen.
Die zweite Fassung fühlt sich an wie das Aufbohren einer zweiten Erdschicht. Da will ich ran
Ich schreibe über Freundschaft und Verlust, über die Bindung zu Eltern und unter Geschwistern - und das Loslassen der wichtigsten Menschen im Leben.
Das Schreiben an der zweiten Fassung, nach dem Herunterschreiben des Rohmaterials, fühlt sich daher an wie das Aufbohren einer zweiten Erdschicht. Wo die tieferen Gefühle stecken. Da will ich ran. Am liebsten für eine unbestimmte Zeit ohne Druck, ohne Termine und Erwartungen von außen. Sich freischütteln. Auch von mir selbst. #nasserhund :)
Wie mache ich mich innerlich frei, wenn das Außen an mir zieht und meine Gedanken und Gefühle belegt? Wie, gelingt loslassen, ver* ? Kann man das irgendwann?
Mein neues Mantra: "Ich habe keine Zeit, ich schreibe"
Hier mein Masterplan - Stand heute:
- Ich gebe mir eine Pause, mit Tapetenwechsel. Mit Ostern steht der sowieso an.
- Nach Ostern übe ich den Satz "ich habe keine Zeit, ich schreibe" - vor mir selbst und vor dem Außen
- Ich nehme mir jeden Tag ein Zeitfenster und sei es noch so klein. Aber das Wochenende bleibt frei - es sei denn, mich überkommt ein Flowmoment
- In diesem Zeitfenster wird das Handy ausgestellt
- Das Zeitfenster wird ausgedehnt: Urlaubstage und/oder Wochenenden möchte ich mal nur mit mir verbringen
- Ich suche neue Schreibplätze, idealerweise Draußen. Eine Bitte an das Wetter: draußen schreiben fällt mir leichter als drinnen, also bitte...
Fällt euch der Satz leicht? Welche Maßnahmen haben sich für dich als erfolgreich erwiesen, um in deinen Text einzutauchen mit allem, was du geben möchtest?
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Tipps am Rande:
- Der Podcast “Hotel Matze”
- James N. Frey "Wie schreibt man einen verdammt guten Roman 1+2" zur Auffrischung
- Alle Bücher von Benedict Wells, allen voran: Vom Ende der Einsamkeit :)
Dieser Beitrag ist ein Beitrag zur Blogparade von Anna Koschinski: "Schreiben über das Schreiben" lautet das Motto, und wie ihre Parade zeigt: Schreiben ist so bunt und vielfältig, wie das Leben selbst.